Geschichte der Städtepartnerschaft mit „New Mills“ seit 1960

Städtepartnerschaft und Schüleraustausch zwischen Alsfeld und New Mills, High Peak District, England“

Wenn eine freundschaftliche Verbindung zwischen 2 Städten nicht nur auf dem Papier bestand sondern mit Leben erfüllt wurde, dann ist es mehr als berechtigt, ihre Geschichte gebührend zu würdigen.

An ihrem Anfang spielte ein Bild des Alsfelder Rathauses die entscheidende Rolle. Das kam so:

Im Jahre 1960 wurde der damalige Regierungspräsident in Darmstadt Arnoul von seiner englischen Amtskollegin Mrs Baxton, Präsidentin des County Derbyshire, dorthin eingeladen. Als Gastgeschenk entschied er sich für das Bild eines markanten Bauwerks seines Regierungsbezirkes: das Alsfelder Rathaus. 6 Monate später teilte Herr Arnoul dem damaligen Bürgermeister von Alsfeld Herrn Georg Kratz mit, Mrs Baxton habe den Wunsch, das Rathaus auch in natura kennenzulernen. Am 31. Mai 1961 kam Mrs Baxton nach Alsfeld. Es war der letzte Tag des Maiblasens vom Turm der Walpurgiskirche, dieser schönen Alsfelder Tradition. Davon wie auch vom Rathaus und der Altstadt war die englische Besucherin so begeistert, dass sie erklärte, es solle unbedingt eine Partnerschaft zwischen Alsfeld und einer englischen Stadt in Derbyshire angestrebt werden. Nach einer Pause von 9 Monaten traf ein Brief aus England ein mit dem Angebot der Stadt New Mills zur Aufnahme einer Städtepartnerschaft. New Mills hatte Alsfeld als „twin-town“ gewählt.

Im Frühjahr 1962 reiste eine offizielle Delegation mit Bürgermeister Georg Kratz, Stadtrat Emil Walter und StR Fridtjof Mueller als Dolmetscher nach New Mills, um die Partnerschaft zu gründen. Ob dies gelingen würde war damals noch eine offene Frage, denn es bestanden auf englischer Seite aus dem letzten Krieg noch Ressentiments. Doch es gelang Bürgermeister Kratz alle Vorbehalte zu überwinden und neue Freunde für Alsfeld zu gewinnen. Mit seinem gewinnenden Wesen konnte er bei „social meetings“ die englischen Gastgeber soweit in Stimmung bringen, dass man gemeinsam das Lied von der Lorelei anstimmte.

Das „Herzstück“ der Partnerschaft aber war und ist der Jugendaustausch. So kam 1963 als erster der englische Arzt und Stadtrat Dr Leslie Millward mit einer kleinen Schülergruppe nach Alsfeld. Auch in den folgenden Jahren war Dr Millward ein überzeugter Förderer des twinnings. Im August 1963 wurde die erste Alsfelder Schülergruppe unter der Obhut von StR Mueller von dessen englischen Partnerschaftskollegen Mr Humphrey und von Headmaster Philipp Vennis auf dem Bahnhof von New Mills begrüßt. Von den englischen Gasteltern bekamen die deutschen Gäste immer wieder zu hören: „We want you to feel at home.“

Von Anfang an waren beide Seiten bestrebt, es nicht bei gegenseitigen Besuchen bewenden zu lassen sondern auch das kulturelle Leben in den Austausch einzubeziehen. So kam es 1964 zu einem unvergesslichen Höhepunkt des Austausches, als die Grammar School New Mills ihre in New Mills erfolgreiche Inszenierung von Shakespeare’s „Romeo and Juliet“ mit einem Ensemble von 80 Schülerinnen und Schülern nach Alsfeld brachte. Dass dieses anspruchsvolle Unternehmen überhaupt realisiert werden konnte, war der Tatkraft von Headmaster Vennis als Regisseur zu verdanken. Er hatte bewusst dieses Drama ausgewählt. In der Aussöhnung der verfeindeten Eltern über den Gräbern ihrer Kinder sah er das Symbol für die Verständigung besonders zwischen der englischen und deutschen Jugend. Dieser Absicht wurde die schauspielerische Leistung der jungen Amateurschauspielerinnen mehr als gerecht. In mehreren Aufführungen teils im „Deutschen Haus“, teils auf der ideal geeigneten Freilichtbühne des Klostergartens ließen sich nicht nur die Alsfelder begeistern. Auch für viele Schüler aus Lauterbach, Gießen, Fulda und Bad Hersfeld war „Romeo and Juliet“ in der Originalsprache ein großes Erlebnis. „Romeo and Juliet“ war ein großartiges Geschenk von New Mills an Alsfeld. Das Gymnasium bedankte sich dafür ein Jahr später, 1965, in New Mills mit mehreren Chorkonzerten und einer Kunstausstellung. OStR Helmut Köhler hatte eine Auswahl von Madrigalen und europäischen Volksliedern getroffen, die beim englischen Publikum großen Anklang fand. Auch bei Konzerten in Bakewell und Matlock erwies sich die Freundschaft stiftende Macht der Musik. OStR Maximilian Hüttisch, Kunsterzieher der Albert Schweitzer Schule, stellte Arbeiten seiner Schüler sowie eigene Federzeichnungen mit Motiven aus Alsfeld und Oberhessen vor. Die Kunstausstellung wurde mit viel Interesse aufgenommen und hatte auch in der Presse gute Kritiken.

In den folgenden Jahren entwickelte sich dann ein Turnus von zwei Jahren für die gegenseitigen Besuche, d.h. in einem Jahr kam die Gruppe aus New Mills nach Alsfeld, im nächsten Jahr fuhren die Alsfelder nach New Mills. Auch die Gerhart-Hauptmann-Schule und die Gesamtschule Homberg beteiligten sich in den folgenden Jahren am Austausch, denn immer mehr Schülerinnen und Schüler wollten den „English way of life“ kennenlernen und ihre Sprachkenntnisse erweitern und erproben.

Oft überstieg die Zahl der Interessenten die Unterbringungsmöglichkeiten in englischen Familien, so dass das Los entscheiden musste. Mit der großen Zahl von Teilnehmern – in einem Jahr waren es 94 – stieg natürlich auch das Maß der Verantwortung. Ohne die tatkräftige Unterstützung von Frau Irmtraut May, von Herrn OStR Adolf Pelzer und Herrn OStR Joachim Steuernagel hätte sie nicht getragen werden können. Unser routinierter „Linksfahrer“ Herr Klaus Sens, der den Reisebus sicher über die englischen Straße steuerte, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt und ohne herzlichen Dank bleiben.

Unsere englischen Kollegen hatten jedes Mal ein Besuchsprogramm vorbereitet, das uns Einsichten vermittelte, die ein Tourist normalerweise nur schwer gewinnen kann. Sie verstanden es, den deutschen Besuchern die herbe Schönheit des Peak Districts, seine Geschichte, Kultur sowie die wirtschaftlichen und sozialen Probleme von damals näherzubringen. So hatte im 19. Jahrhundert die erste industrielle Revolution mit der Erfindung des mechanischen Webstuhls zur Errichtung von Cotton Mills (Baumwollspinnereien) und Druckereien geführt. Verbunden damit war ein großer wirtschaftlicher Aufschwung. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es gerade die Billig-Importe aus den Ländern des damalige Empires, die den Niedergang der einst blühenden Textilindustrie von New Mills bewirkten. Heute hat New Mills mit einer hohen Arbeitslosenquote zu kämpfen. Leider gab es in der Alsfelder Textilindustrie – wenn auch aus anderen Gründen – eine parallele Entwicklung.

In die englische Geschichte führten uns Ausflüge zu den alten Römerstädten York (Eboracum) und Chester (castra). Wie in York das gotische Minster so beeindruckten in Chester die Fachwerkhäuser der Tudor-Epoche. Dass englische Architekten auch im 19. und 20. Jahrhundert noch Kathedralen als Symbole des Glaubens bauen konnten, zeigten in Liverpool die neugotische Kathedrale aus rotem Backstein und die moderne katholische Kathedrale mit ihrer kühnen Kuppellaterne aus Spannbeton. Für diese und viele andere schöne Eindrücke, die uns auf den Exkursionen z.B. nach Wales, Stratford upon Avon und Blackpool vermittelt wurden, schulden wir Mr Ray Humphrey, Mr Rod Drysdale und vor allem Mrs Christine Martin besonderen Dank. Über viele Jahre hinweg war unsere Kollegin Martin die Seele des twinnings in New Mills. Ohne ihr persönliches Engagement wäre der Erfolg der Partnerschaft nicht möglich gewesen. Man denke nur an den vorbereitenden umfangreichen Schriftverkehr.

1981 kam der Schulchor der inzwischen zur Comprehensive School (Gesamtschule) umgewandelten Grammar School nach Alsfeld. Unter seinem Dirigenten Mr John Martin bewies er, dass er ebenso die Klangwelt der englischen Renaissance- und Barockmusik wie auch die modernen Arrangements von Beatles-Songs beherrschte. Der Erfolg des Konzertes war so groß, dass es in der Gesamtschule Homberg wiederholt werden musste. Das Abschiedskonzert wurde von den Chören beider Schulen gestaltet. Die Einladung zum Gegenbesuch nahm der Chor der ASS für 1982 an. Auf dieser Reise war OStR Helmut Köhler Reiseleiter und Dirigent. Allen Sängerinnen und Sängern wird die Mitwirkung am dedication service in der anglikanischen Kathedrale von Manchester als unvergessliches Highlight in Erinnerung bleiben.

Dass der Schüleraustausch keineswegs nur eine andere Form des Tourismus darstellt, beweist die Tatsache, dass viele feste Freundschaften, ja sogar verwandtschaftliche Beziehungen aus ihm entstanden. Nur der Austausch von Familie zu Familie ermöglicht ja die persönliche Begegnung, die zum besseren Verständnis des Partners führen kann. Erst, wenn man selbst auf der Insel gewesen ist, kann man auch die insulare Denkweise verstehen, wie sie am treffendsten in jener berühmten Schlagzeile der „Times“ zum Ausdruck kommt: „Dense fog over the Channel, Continent isolated“ (Dichter Nebel über dem Kanal, europäisches Festland isoliert).

Soweit der Bericht von OStR i.R. Fridtjof Mueller.

In der nachfolgenden Zeit stieß die damalige Haupt- und Realschule, heute Geschwister-Scholl-Schule, zum Austauschprogramm hinzu. Seit dieser Zeit teilen sich die Albert-Schweitzer-Schule und die Geschwister-Scholl-Schule die zur Verfügung stehenden Plätze. Konnte anfangs der Schüleraustausch noch in gewohntem Umfang mit jeweils etwa 40 Schülerinnen und Schülern auf beiden Seiten durchgeführt werden, so gestaltet sich die Gegenwart schwierig. Die derzeitige Bildungspolitik in Großbritannien hat das Fach Deutsch aus dem Pflichtbereich herausgenommen mit der Folge, dass in New Mills wesentlich weniger Jugendliche am Deutschunterricht teilnehmen. Dementsprechend wird es speziell für die englischen Kolleginnen und Kollegen immer schwieriger, genügend Interessenten für den Schüleraustausch mit Alsfeld zu gewinnen. So wird inzwischen auf englischer Seite versucht, neue Schulen aus der Nachbarschaft für die Mitarbeit am Schüleraustausch zu finden, und die Hoffnung liegt im Moment auf einer Schule in Hope Valley, einer Flächengemeinde im Peak District. Diese Schule hat den Schwerpunkt auf moderne Fremdsprachen gelegt, und ein erster Besuch im vergangenen Oktober ließ die Hoffnung aufkeimen, dass es mit dieser Schule als Zweitadresse im Peak District weitergehen könnte. Von Seiten der Alsfelder Schulen ist das Interesse an der Fortführung des seit nunmehr 50 Jahren bestehenden Schüleraustauschs ungebrochen, bewiesen durch die Tatsache, dass sich regelmäßig mehr Schülerinnen und Schüler bewerben als Teilnehmerplätze zur Verfügung stehen.

Der Schüleraustausch zwischen den Schulen in New Mills und Alsfeld ist derzeit das einzige, das von der vor 50 Jahren begründeten Städtepartnerschaft übrig geblieben ist. Und gerade deshalb messen wir diesem Schüleraustausch besondere Bedeutung zu. Wenn es gelingt, die Partnerschaften zwischen unseren Schulen zu erhalten, dann wird auch die Verbindung zu unserer Partnerstadt nicht abreißen.Seit dem Jahr 2016 hat sich die Schule in New Mills komplett aus dem Austauschprogramm verabschiedet, d.h. im Moment sind dort keine Kontakte vorhanden und die Arbeit auf schulischer Seite beschränkt sich auf einen Schüleraustausch zwischen dem College in Hope Valley und der Geschwister-Scholl-Schule. Die Albert-Schweitzer-Schule ist nicht mehr am Schüleraustausch mit Derbyshire beteiligt.

Volker Tost